Geschichte des Totenbuch-Projekts
Trotz der frühen, intensiven Erforschung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts
ist die Sammlung der Totenbuchtexte und deren Quellen so zahlreich, die Fragestellungen
an das Material so facettenreich und die Aussichten auf Forschungsergebnisse, die
über den Bereich des Totenbuchs hinaus von Bedeutung sind, so ertragreich, dass die
geleistete Vorarbeit nur als Ausgangsbasis dienen kann. Schließlich beschränkte sich
Naville auf die Bearbeitung der Manuskripte des Neuen Reichs (1550-1070 v. Chr.),
obwohl sie heute weniger als ein Vierteil der bekannten Quellen ausmachen, wenngleich
sie qualitativ am hochwertigsten sind. Außerdem wurde seine schwerpunktmäßig textbezogene
synoptische Aufarbeitung dem Variantenreichtum der Totenbücher hinsichtlich Format
und Vignetten nicht gerecht.
Deshalb wendeten sich zunächst in den 1920er Jahren, später erneut in den 1950ern
und in einer dritten Phase in den 1970er und 80er Jahren Göttinger Ägyptologen intensiv
dem Totenbuch zu. Zur letzten Gruppe zählten neben Wolfhart Westendorf auch Ursula
Rößler-Köhler und Irmtraut Munro. Erstere widmete sich dabei intensiv dem zentralen
Spruch Tb 17; letztere konzentrierte sich auf die Handschriften der 18. Dynastie.
Anfang der 1990er Jahre ermöglichte ein Ruf an die Universität Bonn Ursula Rößler-Köhler
die Fortsetzung dieser Arbeiten und den Aufbau einer neuen Forschergruppe, dem sogenannten
Totenbuch-Projekt. In ihren Berufungsverhandlungen konnte sie eine zweijährige Anschubfinanzierung
erreichen. Anschließend förderte die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) das Projekt
ab 1994 zehn Jahre lang weiter. Während dieser Phase war auch die Kölner Ägyptologie
unter der Co-Projektleitung von Heinz-Josef Thissen beteiligt. Im Jahr 2004 übernahm
schließlich die Nordrhein-Westfälische Akademie der Wissenschaften und der Künste
das Projekt für weitere neun Jahre.
Ziele des Projekts
Zentrale Fragestellung des Totenbuch-Projekts ist die Entwicklung des Totenbuchs,
sowohl seiner Texte, seiner Vignetten als auch der Gestaltung der Handschriften als
Ganzes. Dazu werden einerseits repräsentative Textzeugen aus den verschiedenen Belegungsperioden,
andererseits außergewöhnliche Handschriften, die den vermeintlichen Standards nicht
entsprechen, ediert. Der Edition der Totenbuch-Manuskripte dienen die „Handschriften
des Altägyptischen Totenbuches“ (HAT), von denen bisher 13 Bände erschienen sind.
Die ebenfalls projekteigenen „Studien zum Altägyptischen Totenbuch“ (SAT), von denen
bisher 16 Bände existieren, begleiten die Edition durch die Bereitstellung von Hilfsmitteln
sowie Einzel- bzw. Überblicksstudien zum Thema. Diese Reihe dient auch als Forum für
die internationale Forschergemeinschaft, die etwa ein Drittel der Publikationen beigesteuert
hat.
Um signifikante Manuskripte auszuwählen und zu edieren, muss man sich zunächst einen
Überblick über das weltweit noch erhaltene Material verschaffen. Für die 18. Dynastie
hatte Irmtraut Munro diese in ihrer Dissertation bereits weitgehend gesammelt. Heute
umfasst das Archiv etwa 3000 Datensätze von der späten 17. Dynastie bis zur Römerzeit,
auf Papyrus, Leinen, Leder, Särgen und Sarkophagen. In der Datenbank sind Schlüsselinformationen
und Bildmaterialien über fast alle weltweit noch erhaltenen Quellen des Totenbuchs
gesammelt. Wenngleich sicherlich einige verstreute Handschriften noch nicht registriert
sind, insbesondere Objekte aus Privatsammlungen, die wir nur bedingt auf Auktionen
finden können, ist der aktuelle Bestand annähernd vollständig und sowohl für statistische
Auswertungen als auch für Vergleiche ausreichend und repräsentativ.
Damit auch andere Forscher auf diese Daten zugreifen können, ist das Archiv seit März
2012 im Internet öffentlich zugänglich; ein entscheidender wirtschaftlicher Aspekt,
denn so entfallen aufwendige Anreisen aus dem In- und Ausland, denn immerhin reicht
das Netz der Totenbuchforscher von der Ukraine bis in die USA. Hilfsmittel für diejenigen,
die außerhalb des Projekts am Totenbuch interessiert sind zur Verfügung zu stellen,
war von Beginn an ein weiteres Anliegen und findet mit der Öffnung des Archivs seinen
quantitativen und qualitativen Abschluss. Bestandteil sind nicht nur Daten und Bilder
zu den einzelnen Manuskripten, auch die Übersetzungen von Burkhard Backes von Hunderten
von Totenbuchsprüchen, die zeitweise ausschließlich von der Datenbank getrennt publiziert
waren, sowie die über die 20 Jahre hinweg aufgebaute Literaturdatenbank sind nun miteinander
verknüpft.
Auf diese Weise wird 2012 passend zum Wissenschaftsjahr der Nachhaltigkeitsforschung
garantiert, dass auch über das Projektende hinaus, die Daten verfügbar und nutzbar
bleiben, damit andere Projekte und einzelne Forscher mit den gesammelten Informationen
und Materialien weiterarbeiten können.
Marcus Müller, Februar 2012